In Manila wurde einst aus dem Jeep der Jeepney
Von Jens Meinersampnet – 20. Mai 2016. Der Lärm ist unbeschreiblich, wenn die Fahrer ungeduldig mit dem Gaspedal spielen. Wenn die Ampel auf Grün springt, wird der Lärm zum Getöse und die Szene verschwindet im Abgasnebel. Willkommen in Manila: Anstelle eines herkömmlichen öffentlichen Nahverkehr regieren hier die Jeepneys – und das seit reichlich sechs Jahrzehnten.
Es ist der blanke Anachronismus: Basierend auf zurückgelassenen
Fahrgestellen amerikanischer Willys-Jeeps haben die Filipinos eine Art
Kleinbus entwickelt mit Karosserien aus Edelstahl, Planen anstelle von
Seitenfenstern und längs eingebauten Sitzbänken mit Platz für – je nach
Baumuster – mehr als 25 Personen. Die technische Basis ist noch gut
sichtbar, wenngleich so mancher Jeepney-Besitzer sein Gefährt mit einem
stolzen Mercedes-Stern verziert.
Die stets bunt verzierten, häufig mit frommen Symbolen versehenen
Jeepneys fahren nicht nur in der Tropenmetropole, sondern im ganzen Land
ihre vorgegebenen Routen ab, und rein theoretisch gibt es auch
Haltestellen, nach denen sich die Fahrer richten müssen. In der Realität
halten sie überall an, wo ein Fahrgast aufgelesen werden kann, und sie
setzen ihn auch nach Wunsch punktgenau ab. Ist der Fahrer, der oft auch
der Besitzer ist, der Auffassung, die Kapazität sei noch nicht
ausgeschöpft, wird das Tempo gerne auf ein Minimum reduziert. Es wird
sich schon noch jemand finden, der aufspringt.
Denn auf die Masse der Fahrgäste kommt es an. Eine Mitfahrt ist
ausgesprochen günstig, beginnend bei umgerechnet knapp 13 Cent; für
jeden Zusatzkilometer werden gerade mal 2 Cent extra fällig. Eine Fahrt
mit dem Jeepney ist somit viel erschwinglicher als Taxi, Schnellbahn
oder auch das "Tricycle", eines jener kleinen Motorräder, deren Beiwagen
Platz für ein oder zwei Passagiere bietet. Und weil die Jeepneys so
billig und unkompliziert sind, tun sich wohlmeinende Politiker
ausgesprochen schwer damit, ihnen den Garaus zu bereiten, zumal man
ihnen durchaus den Status einer kulturellen Ikone zusprechen kann.
So sieht es auch Ed S. Sarao, in dessen Werk in Las Pinas City im Süden
von Manila pro Jahr rund 40 der Traditionsmobile nach alter Väter Sitte
zusammengeschraubt werden. „Es waren auch schon einmal 200 bis 300“,
erinnert sich der Firmenchef – und zwar in der Marcos-Ära der 70er und
80er-Jahre, für sein Geschäft „eine goldene Zeit“. Nötig hat es der
56-jährige nicht mehr: Die Familie hat in Immobilien investiert, die
Produktion von Jeepneys ist „eine Art Hobby“. Nebenbei restauriert Sarao
amerikanische und japanische Klassiker für Kunden und die eigene
Sammlung; besonders stolz ist er auf einen '62er Pontiac, den sein Vater
von einem Bekannten fast neu übernommen hat.
Jeepneys werden überall auf den Philippinen zusammengeschraubt; was die
Sarao-Werke auszeichnet, ist ihr guter Ruf und ihre lange Tradition.
Deshalb kann es sich die Manufaktur auch erlauben, höhere Preise als die
Konkurrenz aufzurufen: Für einen Jeepney-Bus in Langversion werden hier
rund 650 000 philippinische Peso, umgerechnet knapp über 12 000 Euro,
fällig. 60 bis 90 Arbeitstage dauert es ab Auftragseingang, bis ein
Jeepney abgeholt werden kann; die Modelle entstehen von Grund auf am
gleichen Standort, mit schwerem Kastenrahmen, Blattfedern vorn und
hinten und einem Aufbau aus Edelstahl, der auf Wunsch mit hochglänzenden
Elementen verziert werden kann.
Unter der Haube stecken typischerweise generalüberholte
Isuzu-Dieselmotoren mit vier Zylindern und 3,2 Litern Hubraum. Wieviel
die leisten? Sarao will sich nicht ganz festlegen: „Früher waren es 68
PS, heute werden es rund 80 PS sein". Für die Kraftübertragung auf die
Hinterachse sorgen manuelle Fünf-Gang-Getriebe. Wer einen nagelneuen
Motor unter der Haube möchte, muss einen Aufschlag von bis zu 300 000
Peso, rund 5500 Euro, einkalkulieren.
Doch für eine derartige Investition besteht wenig Veranlassung, denn die
großvolumigen Maschinen sind ohnehin nicht kleinzukriegen – zumal von
Turboaufladung und komplizierten Einspritzsystemen niemand etwas wissen
will. Eine Abgasreinigung ist ebenfalls nicht vorgesehen. „Keine
Computer", stellt Sarao befriedigt fest.
Der Zukunft, sollte sie denn schärfere Abgasvorschriften bringen, will
man sich nicht verschließen. Bezahlen soll das dann aber bitte die
Regierung. Man könne keine aufwendige Antriebsentwicklung betreiben. Und
wer die gemütlichen Büroräume und die weitgehend unter freiem Himmel
stattfindende Produktion in Augenschein nimmt, glaubt das dem Firmenchef
gerne.
Eine Zukunftsvision für den Jeepney hat Sarao dennoch auf die Räder
gestellt, in Form eines deutlich größeren Fahrzeugs mit geschlossener,
vollklimatisierter Kabine und einem 4,2-Liter-Nissan-Aggregat. Bei der
Studie handelt es sich um die Diplomarbeit von Jackie Sarao, dem Sohn
des Firmenchefs. „Eigentlich wollte ich im Format des klassischen
Jeepney bleiben, aber das Projekt ist ein bisschen gewachsen", lacht der
25jährige. Auf eine Probefahrt muss verzichtet werden, denn um längere
Strecken zurückzulegen, ist noch Feinarbeit am Antrieb nötig.
Einstweilen parkt die kantige Zukunftsvision einträchtig neben den
aktuellen Typen, die sich in unterschiedlichen Phasen der Fertigstellung
befinden. Und es gibt noch mehr zu sehen, und zwar nicht nur
Sammlerstücke aus verschiedenen Epochen der Firmengeschichte, sondern
eine besondere Pretiose: Ein im Wiederaufbau befindlicher Jeepney in
Kurzausführung, der dem historischen Vorbild der US-Marke Willys sehr
nahe kommt. Den letzten davon hat Sarao in den 80er-Jahren gebaut,
Aufträge für Neufahrzeuge nähme man jedoch gerne entgegen. Wer will,
kann dafür auch einen 4,2-Liter-Motor ordern, auch wenn Jackie Sarao
nicht zu unrecht vermutet, dass der Hecktriebler damit wohl leicht
übermotorisiert wäre.
Es ist ein reizvoller Gedanke: Für weniger als 10 000 Euro (soviel würde
Sarao aufrufen) wäre man nicht nur beim Ampelrennen in Manila ganz
vorne dabei, sondern besäße auch ein Stück elementarer Auto-Mobilität.
Nur mit der Zulassung außerhalb der Philippinen dürfte es schwierig
werden. (ampnet/jm)
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