Bristol 400 – BMW ließ sich klaglos kopieren
Von Hans-Robert Richarzampnet – 22. Mai 2016. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mischten auch ehemalige Flugzeugbauer in der britischen Automobilprodduktion mit. Zu ihnen zählte die Bristol Aeroplane Company.
Um seine Arbeiter und Angestellten nicht auf die Straße schicken zu
müssen, entschied sich das Unternehmen, eine Autoabteilung zu gründen.
Mit Aerodynamik und Maschinen kannte man sich ja aus, und bereits zu
Kriegszeiten hatte Bristol mit Autos experimentiert, die Pläne aber
verworfen. 1947 erblickte der erste Bristol mit zwei Achsen und vier
Rädern das Licht der Welt. Er glich dem BMW 327, der von 1937 bis 1941
in Eisenach vom Band gelaufen war, aufs Haar.
Die bedingungslose Kapitulation der Deutschen war erst wenige Wochen
alt, da begann Bristol damit, eng mit dem englischen
Sportwagenproduzenten AFN Ltd. ( für Adlington, Frazer-Nash) zu
kooperieren. Von 1934 an hatte dieses Unternehmen die Exklusivrechte für
den Import von BMW-Modellen für das gesamte britische Empire bekommen,
was Bristol nun die Tür zu BMW-Konstruktionsplänen der Vorkriegszeit
öffnete. Auf welche Weise diese allerdings legal den Ärmelkanal
überquert hatten, ist bis heute umstritten.
Diebstahl in den Nachkriegswirren? Kriegsreparationen? Manche Historiker
vermuten, dass BMW die Unterlagen aus Eisenach vor den Russen in
Sicherheit bringen und sie lieber in westliche Hände geben wollte. Eine
andere These besagt, dass BMW mit der Preisgabe der Pläne möglichst
rasch die Erlaubnis zur Wiederaufnahme der eigenen Autoproduktion zu
erhalten hoffte. Dafür spricht, dass die Münchner nichts dagegen
einzuwenden hatten, dass Bristol bis weit in die 1950er Jahre die
BMW-typische Doppelniere als Kühler verwendete, während sie gerichtlich
verbieten ließen, dass im beschlagnahmten Werk in Eisenach weiterhin
Autos mit dem Namen BMW produziert wurden.
Wie auch immer: Fest steht, dass Harold John Aldington, einer der
Besitzer von AFN Ltd., schon 1934 Lizenzen für BMW-Modelle erworben
hatte, die in Großbritannien als „Frazer-Nash BMW“ verkauft wurden.
Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Bristol und AFN nach dem Krieg
konnte sich der Senior-Partner Bristol nun die Neuentwicklung eines
eigenen Autos sparen. So stellte das Unternehmen bereits 1946 mit dem
Bristol 400 einen ersten Prototyp auf die Räder. Ihm folgte wenig später
ein zweiter mit der Fahrgestellnummer 400/1/102, reif genug für eine
Präsentation auf dem Genfer Automobil Salon. Dieses Fahrzeug kaufte
zuvor Aldington.
Treibende Kraft vor und hinter den Kulissen und Käufer des allerersten
Bristol 400 war der Rennfahrer, Autohändler, Air Force-Pilot und
Cambridge-Absolvent Tony Crook, später einige Zeit alleiniger Inhaber
und Chef der Bristol Cars Ltd. Crook personifizierte das, was
Festland-Europäer unter einen schrulligen Briten alter Tradition
verstehen. Ein Händlernetz für Bristol-Fahrzeuge und Werbung hielt er
für neumodische Dekadenz, eine E-Mail-Adresse überflüssig und Computer
überhaupt für Zeitverschwendung.
Potenzielle Kunden sollten gefälligst persönlich in seinem Büro in der
Londoner Kensington High Street vorsprechen und einen Antrag einreichen.
Von Journalisten ließ er sich nur äußerst ungern stören. Ende der
1970er Jahre fertigte er einen Redakteur des Magazins „Auto, Motor und
Sport“ mit dem Wunsch nach einem Testwagen mit den Worten ab: „Die
Flugzeitschrift Flight bekommt ja auch keine Concord zum Testen.“ Diese
Marotten hielt Crook bis 2007 aufrecht, dann wurde er drei Jahre vor der
Insolvenz seiner Firma im Alter von 87 Jahren „wegen unüberbrückbarer
Gegensätze die Zukunft von Bristol Cars betreffend“ entlassen.
Während Crook seinen Bristol in der Garage einsperrte, präsentierte
Aldington den Seinen in Genf. Dessen Reihensechszylindermotor fußte auf
einer BMW-Konstruktion aus den späten 1930er-Jahren, der für den BMW 328
entwickelt worden war: zwei Liter Hubraum, 55 kW oder 75 PS, 160 km/h.
Das zweisitzige Cabriolet war Ende 1946 bei Pininfarina in Turin
entstanden und trug zunächst den Namen Fraser Nash Bristol. Erst später,
als sich die beiden Unternehmen wieder trennten, hießen die
Nachfolgemodelle Bristol 2 Litre.
Harold John Aldington besaß nicht nur einen Direktorenposten bei
Bristol, sondern zeichnete sich – wie Crook – darüber hinaus als
erfolgreicher Rallyefahrer aus. Mit seinem Bristol belegte er 1948 und
1949 bei einigen Wettbewerben vordere Plätze, 1949 war sein Wagen bei
der „Alpine Rally“ der einzige Bristol, der ohne Blessuren das Ziel
erreichte. Später vervollständigte das Auto die Sammlung eines
britischen Exzentrikers, der Prototypen und außergewöhnliche
Fortbewegungsmittel schätzte. Er benutzte den Wagen für alltägliche
Fahrten ebenso wie für Wettbewerbe.
1989 war eine Verjüngungskur für den Bristol 400 überfällig. Doch kurz
nachdem er bei Spencer Lane-Jones, dem renommiertesten
Bristol-Restaurator auf der Insel angekommen war, segnete sein Besitzer
das Zeitliche. Jetzt kaufte Christine Lane-Jones, die finanzkräftigen
Mutter des Restaurators, den Oldtimer. Hier verbrachte er die folgenden
zehn Jahre und wurde nach und nach unter der Maßgabe „Geld spielt keine
Rolle“ in einen neuwertigen Zustand zurückversetzt.
Erneut fand ein Besitzwechsel statt, diesmal an einen Amerikaner. Erneut
wurde der Wagen viel bewegt und lernte Straßen in Europa ebenso kennen
wie Highways in den USA. Kein Wunder, dass der Bristol 400 danach eine
Reihe von Preisen bekam und gern gesehener Gast bei Oldtimer-Treffen war
wie etwa beim Louis Vuitton Concours im exklusiven Londoner Hurlingham
Club oder dem Villa d’Este Concours d’Elegance am Comer See.
In der vergangenen Woche fand erneut ein Besitzerwechsel statt. Bei
einer Versteigerung von Sotheby's in Monte Carlo wurden 224 000 Euro für
den Wagen bezahlt. Das Auktionshaus bewarb das Auto so: „Der historisch
einmalige Wagen verhalf einer wichtigen britischen Marke zum Erfolg.
Sein Design und seine Geschichte wird dem wahren Kenner den Weg zum
Eintritt in die exklusivsten Veranstaltungen klassischer Fahrzeuge
ebnen.“ (ampnet/hrr)
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