110 Jahre Alfa Romeo (1): Das schnellste und schönste Auto seiner Zeit
Der 24. Juni ist für Alfa Romeo ein historisches Datum: An jenem Tag vor 110 Jahren wurde die Biscione – wie die Traditionsmarke in Italien in Anlehnung an die Schlange im Logo genannt wird – gegründet. Mit der „Storie Alfa Romeo“ wird jetzt im Internet auf die über 100-jährige Geschichte zurückgeblickt. Dabei werden nicht nur die bekanntesten Modelle der Marke anhand von Archivaufnahmen aus dem Museo Storico, dem Werksmuseum von Alfa Romeo, im Mailänder Vorort Arese, vorgestellt. Der Blick gilt auch der Geschichte und gesellschaftlichen Entwicklung Italiens.
Alfa Romeo 6C 1750 Gran Sport (1931). Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Chefingenieur Giuseppe Merosi entwarf mit dem Tipo 24 HP in seinem Haus
in der Mailänder Via Cappuccio den ersten Alfa, noch bevor der
Firmenname „Anonima Lombarda Fabbrica Automobili“ offiziell am 24. Juni
1910 registriert wurde. Die „Aktiengesellschaft Lombardische
Automobil-Fabrik“ – abgekürzt in den ersten Jahren als A.L.F.A. – hatte
von Anfang an enge Beziehungen zu verbundenen Unternehmen in London,
Bordeaux und Neapel. Dadurch stand ihr schon früh der internationale
Markt offen. Der Grundstein für die Rennsportlegende von Alfa Romeo
wurde bereits ein Jahr später gelegt und feierte mit dem Sieg bei der
Targa Florio 1923 einen ersten Höhepunkt. Bei dem berühmten
Straßenrennen auf Sizilien wurde auch eines der heute bekanntesten
Symbole von Alfa Romeo erfunden – das Quadrifoglio (vierblättriges
Kleeblatt). Es zierte als Glücksbringer den siegreichen Tipo RL von
Werksfahrer Ugo Sivocci.
Alfa 24 HP (1910). Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Überholmanöver mit ausgeschaltetem Licht
Legendär ist auch die vierte Auflage der Mille Miglia, als am 13. April
1930, kurz nach 5 Uhr morgens, ein Alfa Romeo 6C 1750 Gran Sport Spider
Zagato mit 150 km/h und ausgeschalteten Scheinwerfern unterwegs war. Am
Lenkrad saß Tazio Nuvolari aus Mantua, Spitzname „Nivola“. Neben ihm
Beifahrer Gian Battista Guidotti, Chef-Testfahrer im Alfa Romeo Werk
Portello. Die beiden schnappten den Werksfahrern Achille Varzi und
Copilot Carlo Canavesi den sicher geglaubten Sieg weg, indem sie sich
ohne Licht an die Führenden herangepirscht hatten und die Rivalen
schließlich mit diesem Überraschungsmoment überholten. Nuvolari erzielte
eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 100,45 km/h. Damit lag der
Durchschnitt des Siegers erstmals jenseits von 100 km/h – auf weitgehend
unbefestigten Straßen. Der Rekord schaffte es auf die Titelseiten der
Zeitungen in ganz Europa. Mit rund zehn Minuten Rückstand wurde Varzi
fassungslos Zweiter. Als Dritter kam Giuseppe Campari, ein weiterer
Alfa-Werksfahrer, vor Pietro Ghersi ins Ziel. Alle vier fuhren im Tipo
6C 1750. Insgesamt acht Exemplare des neuesten Rennwagens von Alfa Romeo
belegten Plätze unter den ersten elf der Gesamtwertung.
Giuseppe Merosi (1906). Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Der Alfa Romeo 6C 1750 untermauerte seine Vormachtstellung im selben
Jahr mit Dreifachsiegen beim 24-Stunden-Rennen in
Spa-Francorchamps/Belgien und bei der Tourist Trophy in
Belfast/Großbritannien. Der Tipo 6C 1750 war eindeutig das schnellste
Auto seiner Zeit.
Die Alfa-Fabrik im Mailänder Vorort Portello in den 1910er-Jahren. Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Vittorio Jano war 1926 Technischer Direktor bei Alfa Romeo geworden und
der Tipo 6C seine erste Entwicklung. Janos Aufgabe war es, „ein leichtes
Auto mit hoher Leistung“ zu konstruieren, das Rennen und Bewunderer
gewinnen, aber auch neue Kundensegmente erobern würde. Jano holte hohe
PS-Zahlen aus vergleichsweise kleinen Motoren heraus. so entwickelte er
Motoren mit einem Hubraum von etwa einem Liter – zum Beispiel für
Nutzfahrzeuge – beziehungsweise zwei oder drei Litern für Luxusmodelle.
Vittorio Jano, Technischer Direktor von Alfa Romeo, in Monza (1923). Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Janos Vorgänger Giuseppe Merosi hatte schon für den Grand-Prix-Rennwagen
aus dem Jahr 1914 – der aufgrund des Ersten Weltkriegs nie eingesetzt
wurde – einen Motor entwickelt, der das zukünftige Triebwerksdesign von
Alfa Romeo beeinflussen sollte. Merosis GP-Motor hatte zwei obenliegende
Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder und Doppelzündung. Mit dem Tipo
6C 1900 (1933), dem Tipo 6C 2300 (1934) und dem Tipo 6C 2500 (1939)
führte Alfa Romeo weitere moderne Technik ein. Dazu zählten
Einzelradaufhängung und Chassis mit geschweißten statt genieteten
Komponenten, um die Torsionssteifheit zu erhöhen.
Alfa Romeo 6C 1750 Sport (1929). Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Mit dem Alfa Romeo 6C 1750, der im Januar 1929 auf dem Autosalon in Rom
vorgestellt wurde, erreichte die Baureihe die volle Reife. Der
Sechs-Zylinder-Reihenmotor war eine Weiterentwicklung aus dem Tipo 6C
1500. Der Motortyp 6C 1750 wurde in verschiedenen Versionen gefertigt:
mit einzelner oder doppelter Nockenwelle, mit und ohne Aufladung durch
Kompressor. Die Leistungsspanne reichte von 46 PS (34 kW) in der
Turismo-Version bis zu 102 PS (75 kW) beim Tipo 6C 1750 Gran Sport mit
angegossenem Zylinderkopf. Bei dieser Spezialversion, von der nur sehr
wenige hergestellt wurden, bestanden Zylinderkopf und Kurbelgehäuse aus
einem einzigen Block. Auf diese Weise entfiel die sonst zwischen beiden
Bauteilen nötige Dichtung, die besonders bei aufgeladenen Motoren zum
Durchbrennen neigte. Das Gewicht des Tipo 6C 1750 Gran Sport betrug 840
Kilogramm, er erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h.
Alfa Romeo 6C 1750 Super Sport von Goffredo Zehender beim 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps im Jahr 1929 Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Eine Schönheit in Weiß
Der Tipo 6C 1750 verfügte außerdem über ein mechanisches Bremssystem,
bei dem die großen Trommelbremsen von einem Gestänge betätigt wurden.
Der Rahmen bestand aus gepresstem Stahl, die Achsen waren verstärkt und
die Blattfedern waren außerhalb der Karosserie anstatt unter den
Seitenteilen platziert. Der tiefe Schwerpunkt ermöglichte hohe
Kurvengeschwindigkeiten. Der Kraftstofftank wurde weiter zurückgesetzt,
um ein größeres Gewicht auf den Hinterrädern zu erzielen und die
Gewichtsverteilung zu verbessern.
Mille Miglia 1930: Tazio Nuvolari und Beifahrer Gian Battista Guidotti im Alfa Romeo 6C 1750 Gran Sport Spider Zagato. Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Die Rennerfolge festigten den Ruf des Modells und machten ihn zum
begehrten und teuren Wagen. In Italien zum Beispiel kostete der Alfa
Romeo 6C 1750 je nach Version zwischen 40.000 und 60.000 Lire – ungefähr
das Siebenfache eines durchschnittlichen Jahreslohns damals. Zwischen
1929 und 1933 verließen 2579 Exemplare das Werk in Portello.
Alfa Romeo 6C 1750 Gran Sport (1930). Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Bis in die 1930er-Jahre war es üblich, lediglich das rollfähige
Fahrgestell zu fertigen, also Rahmen mit Motor, Getriebe, Antrieb und
Fahrwerk. Der Kunde kaufte es und beauftragte einen externen
Karosseriebauer, das Auto zu komplettieren. Der Alfa Romeo 6C 1750 bot
nahezu unbegrenzte Möglichkeiten für die renommierten Carrozzerias vor
allem in Norditalien. Die mechanische und technische Basis bot sich für
die Kombination mit eleganten Aufbauten geradezu an. Die Marke selbst
stieg erst 1933 in den werkseitigen Karosseriebau ein.
Josette Pozzo gewann mit dem Alfa Romeo 6C 1750 GS Touring „Flying Star“ den Concours d’Elegance in der Villa d'Este im Jahr 1931. Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Der „Flying Star“ (Fliegender Stern) war eines der berühmtesten
Exemplare des Alfa Romeo 6C 1750. Gebaut von der Carrozzeria Touring
unter der Leitung von Felice Bianchi Anderloni speziell für die
Teilnahme am Concours d’Elegance in der Villa d'Este im Jahr 1931.
Besitzerin und Millionärin Josette Pozzo ließ ihr Auto komplett weiß
lackieren, einschließlich Unterboden, Radspeichen und Lenkrad.
Selbstverständlich war auch das Leder der Sitzbezüge weiß. Die einzige
Ausnahme war das Armaturenbrett in kontrastierendem Schwarz. Das von der
Carrozzeria Touring entworfene Cabriolet wies neue Proportionen auf und
überraschte mit Details im Jugendstil. Markantes Beispiel sind die in
die Länge gezogenen Kotflügel vorn und hinten, die sich unter den Türen
kreuzen, ohne sich zu berühren. Der Alfa Romeo 6C 1750 GS Touring
„Flying Star“ gewann den „Gold Cup“ für das schönste Auto – und Josette
Pozzo nahm den Preis in einem passenden weißen Outfit entgegen.
Text: ampnet/jri
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