110 Jahre Alfa Romeo (3): Die drei großen F
Der 24. Juni ist für Alfa Romeo ein historisches Datum: An jenem Tag vor 110 Jahren wurde die Biscione – wie die Traditionsmarke in Italien in Anlehnung an die Schlange im Logo genannt wird – gegründet. Mit der „Storie Alfa Romeo“ wird jetzt im Internet auf die über 100-jährige Geschichte zurückgeblickt. Dabei werden nicht nur die bekanntesten Modelle der Marke anhand von Archivaufnahmen aus dem Museo Storico, dem Werksmuseum von Alfa Romeo, im Mailänder Vorort Arese, vorgestellt. Der Blick gilt auch der Geschichte und gesellschaftlichen Entwicklung Italiens.
Giuseppe „Nino“ Farina gewinnt 1950 in Silverstone im Alfa Romeo Tipo 158 das erste Formel-1-Rennen überhaupt. Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
110 Jahre Alfa Romeo und 70 Jahre Formel 1: Gleich das allererste Rennen
der neuen Motorsport-Ära am 13. Mai 1950 endete mit einem Sieg der
Marke. Die Ursprünge des damaligen Rennwagens mit der Modellbezeichnung
Tipo 158 gehen auf das Jahr 1938 zurück. Der Acht-Zylinder-Reihenmotor
entsprach mit einem Hubraum von 1,5 Litern dem zu dieser Zeit aktuellen
Reglement für Große Preise (Grand Prix), dem Vorläufer der Formel 1. Der
Motor und auch das Fahrzeug selbst waren aber deutlich kleiner als die
berühmten Vorgänger P2 und P3. Der Tipo 158 erhielt deswegen den
Spitznamen „Alfetta“, kleiner Alfa Romeo.
Durch die Verwendung von Leichtmetallen – die
Magnesium-Aluminium-Legierung Elektron für den Block, Nickel-Chrom-Stahl
für die Kurbelwelle – reduzierte sich das Motorgewicht des Tipo auf 165
Kilogramm. Eine weitere Besonderheit war die Transaxle-Bauweise. Das
Getriebe bildete nicht wie gewöhnlich eine Einheit mit dem Motor,
sondern war zu einer Einheit mit dem Hinterachsdifferenzial kombiniert.
Diese Konstruktion beansprucht weniger Platz und sorgt für eine optimale
Gewichtsverteilung zwischen beiden Achsen.
Giuseppe „Nino“ Farina gewinnt 1950 in Silverstone im Alfa Romeo Tipo 158 das erste Formel-1-Rennen überhaupt. Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Einige Tipo 158 wurden versteckt
Bei der Rennpremiere im Jahr 1938 leistete der von einem Kompressor
aufgeladene 1,5-Liter-Motor 185 PS (136 kW). Der Zweite Weltkrieg
stoppte die Entwicklung des Tipo 158. Die technischen Lösungen des
Grand-Prix-Rennwagens waren jedoch so fortschrittlich gewesen, dass sie
auch in der Nachkriegszeit noch erfolgreich waren. Die Alfa-Romeo-
Rennwagen aus den Jahren direkt vor und direkt nach dem Zweiten
Weltkrieg waren nicht nur ähnlich – sie waren sogar identisch. Dahinter
steckt eine besondere Geschichte.
1943 war die norditalienische Industriestadt Mailand von deutschen
Truppen besetzt, Verhaftungen nahmen von Tag zu Tag zu. Im
Alfa-Romeo-Werk Portello vor den Toren Mailands stand eine kleine Anzahl
von Tipo 158, die jederzeit als Kriegsbeute hätten enden können.
Ingenieure und Mitarbeiter der Rennabteilung verluden die
Grand-Prix-Rennwagen daher auf Lastwagen, um sie in verschiedene
Verstecke in der Nähe von Abbiategrasso, rund 20 Kilometer westlich von
Mailand, zu transportieren. Eine Handvoll leidenschaftlicher
Alfa-Romeo-Anhänger meldete sich freiwillig und half mit. Zu ihnen
zählte auch Rennboot-Champion Achille Castoldi, der 1940 mit einem
Tipo-158-Motor in seinem Boot einen Geschwindigkeitsweltrekord
aufgestellt hat.
Motor des Alfa Romeo Tipo 158 (1938). Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Aber gerade als der Konvoi sich in Bewegung setzen wollte, erschien eine
Patrouille der Wehrmacht in Portello. Alfa Testfahrer Pietro Bonini,
von Schweizer Nationalität und nach einigen Jahren in Berlin perfekt
Deutsch sprechend, stellte sich den Soldaten in den Weg und präsentierte
eine Transporterlaubnis. Der Konvoi durfte passieren. Die Tipo 158
wurden in verschiedene Garagen und Schuppen gebracht, hinter falschen
Mauern oder Haufen von Baumstämmen versteckt.
Zwei Kilogramm pro PS
Kurz nach Kriegsende wurden die Tipo 158 zurück nach Portello gebracht
und auf die Rückkehr in den Rennsport vorbereitet. 1947 und 1948 gewann
Nino Farina mit Alfa den Großen Preis der Nationen in Genf/Schweiz,
Teamkollege Achille Varzi den Großen Preis von Turin/Italien und Carlo
Felice Tossi den Großen Preis von Mailand/Italien. Der Tipo 158 war
weiterhin siegfähig. Mit einem zweistufigen Kompressor erreichte die
Alfetta 275 PS (202 kW), bis 1950 stieg die Leistung auf 350 PS (257 kW)
bei 8600 Touren. Das Leistungsgewicht des Tipo 158 betrug in diesem
Jahr nur zwei Kilogramm pro PS – ein Wert, der heute einem
Supersportwagen entsprechen würde.
Alfa Romeo Tipo 158 (1939). Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Beim Großen Preis von Großbritannien in Silverstone 1950, dem ersten von
acht Rennen der neuen Formel-1-Weltmeisterschaft nahmen die Tipo 158
die ersten vier Plätze in der Startaufstellung ein. Giuseppe „Nino“
Farina eroberte die Pole-Position, die schnellste Runde und den Sieg.
Zweiter wurde Luigi Fagioli und Dritter Reg Parnell. Das erste
Formel-1-Podium der Geschichte war fest in der Hand von Alfa Romeo.
Das Trio Farina, Fangio und Fagioli wurde als „Team der großen drei F“
berühmt. Die drei Asse gewannen in der Saison 1950 alle
Grand-Prix-Rennen, an denen sie teilnahmen. Sie standen zwölfmal auf dem
Podium und erzielten fünfmal die schnellste Rennrunde. Giuseppe Busso,
Designer bei Alfa Romeo und Mitarbeiter von Chefkonstrukteur Gioacchino
Colombo, sagte später: „Unser größtes Problem war die Entscheidung,
welcher der drei Fahrer ein bestimmtes Rennen gewinnen sollte.“
Alfa Romeo Tipo 158 („Alfetta“) beim Grand Prix von Spa (1947). Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Nach zwei WM-Titeln der Rückzug
Am 3. September 1950 setzte Alfa Romeo beim Großen Preis von
Monza/Italien zum ersten Mal den Tipo 159 ein. Eigentlich für die
Weltmeisterschaft des folgenden Jahres entwickelt, feierte die nächste
Generation der Alfetta ihr Debüt mit einem Sieg. Mit diesem Erfolg
krönte sich Nino Farina endgültig zum ersten Formel-1-Weltmeister der
Geschichte.
Im Jahr darauf entschied sich das Duell um die Weltmeisterschaft
zwischen Alfa Romeo und Ferrari erst im letzten Rennen. Nach nunmehr 17
Jahren erreichte der Motor der Alfetta langsam das Ende seines
Entwicklungspotenzials. Aber im Verlauf des Jahres gelang es den
Technikern erneut, zusätzliche Leistung zu generieren und die Grenze von
450 PS (331 kW) zu knacken. Das reichte für vier Grand-Prix-Siege in
acht Rennen, elf Podestplätzen und die schnellste Runde in allen sieben
Rennen, an denen Alfa Romeo teilnahm. Titelverteidiger Farina gewann in
Belgien. Aber mit Siegen in der Schweiz, in Frankreich – wo er sich das
Auto mit Luigi Fagioli teilte – und Spanien sicherte sich jetzt
Teamkollege Juan Manuel Fangio den Weltmeistertitel.
Juan Manuel Fangio im Alfa Romeo Tipo 159 beim Grand Prix in Bern (1951). Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
Die „Drei großen F“ und ihre Siege wurden zum Mythos und ihre Geschichte
in „L’Ultimo Incontro“ zum Spielfilm. Gedreht wurde auf den
Formel-1-Rennstrecken und in den Büros der Alfa-Rennabteilung. Der
Schriftsteller Alberto Moravia arbeitete am Drehbuch mit. Die
Hauptrollen spielten Amedeo Nazzari und Alida Valli, zwei Kinostars
jener Ära.
Der Film feierte am 24. Oktober 1951 Premiere. Vier Tage später fuhr
Juan Manuel Fangio im Tipo 159 mit dem Sieg beim Großen Preis von
Spanien zum Titel. Damit hatte Alfa Romeo die ersten beiden
Formel-1-Weltmeisterschaften in der Geschichte des Motorsports gewonnen.
Ungeschlagen zog sich die Marke aus der Formel 1 zurück und
konzentrierte sich stattdessen voll auf die Herstellung von Sportwagen.
Erst 2018 kehrte die Marke mit dem Team Sauber in die Königsklasse des
Motorsports zurück und firmiert seit diesem Jahr als Team Alfa Romeo
Racing Orlen.
Text: ampnet/jri
Juan Manuel Fangio im Alfa Romeo Tipo 159 beim Großen Preis von Spanien (1951). Foto: Auto-Medienportal.Net/FCA
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